Durch die beharrliche Arbeit von Paula Iten vor Ort und die Unterstützung des internationalen EM-Netzwerks der EMRO konnte eine Reihe von großartigen Projekten den Ärmsten der Armen in Haiti zu Gute kommen. Daran beteiligt war der Schweizer David Steiger, Student an der EARTH Universität in Costa Rica, der uns diesen Bericht geschickt hat.
Nachdem ich drei Jahre in der internationalen Universität EARTH nachhaltige Landwirtschaft in den Costaricanischen Feuchttropen studierte, entschied ich mich, für ein viermonatiges Praktikum nach Haiti zu reisen, um dort in Sanitätsprojekten in Port-au-Prince mitzuwirken. Da der Campus der Universität EARTH die zentralamerikanische EM-Basis beherbergt und ich vom EM-Verantwortlichen Dr. Panfilo Tabora unterrichtet wurde, war mir die Arbeit mit den effektiven Mikroorganismen bereits vertraut. Sei es, um den Kompostierungsprozess zu beschleunigen, das Vieh und die Schweine zu behandeln oder die üblen Gerüche in den campusinternen Ställen zu tilgen, zu EM hatte ich einen ganz praktischen Bezug. In Haiti stieß ich auf die Schweizer Umweltaktivistin Paula Iten und lernte durch sie die Arbeit der haitianischen NGO Mains Unies kennen. Ihr Team hatte EM bereits in ländlichen Regionen Haitis eingesetzt, mit dem Erdbeben von Januar 2010 dann aber begonnen, EM in der Hauptstadt zu verwenden, um den Verwesungsgeruch zu bannen und so die Bergungsarbeiten zu unterstützen. Schließlich haben sie EM an die obdachlos gewordenen Menschen in den Zeltstätten verteilt, damit die öffentlichen Toiletten damit behandelt werden können.
Als mein Professor Panfilo Tabora schließlich im Oktober für einen kurzen Besuch nach Haiti kam, besuchten wir das Umweltministerium, um mit den höchsten staatlichen Autoritäten zu diskutieren, wie wir die Lebensbedingungen der ärmsten Stadtbevölkerung erträglicher machen können und wie wir die katastrophale Fäkaliendeponie in der Müllhalde Truitier der Hauptstadt in den Griff bekommen können. Um die daraus resultierenden Projekte allerdings verständlich erklären zu können, bedarf es einer kurzen Beschreibung des aktuellen Sanitäts- und Abfallsystems von Port-au-Prince. Ein Jahr ist vergangen seit dem Erdbeben vom 12. Januar 2010. Noch immer reihen sich die Trümmerhaufen entlang der zerstörten Straßen. Die Wasser- und Abwasserleitungen sind in schlechtem Zustand, nur wenige Haushalte haben Spültoiletten, die oft in zerstörte Abwassersysteme münden und auf die Straße laufen. Noch immer leben über eine Million Menschen in Zeltstädten. Dort reihen sich die mobilen ToiToi-Toiletten zwischen den Tücherbauten. Diese meist überfüllten und demolierten Latrinen werden von großen Lastwagen ausgepumpt, in die Müllhalde Truitier an der Küste transportiert und in einem riesigen Tümpel entleert. Seit Oktober ist die Choleraepidemie ausgebrochen, an der bis Jahresende über 150.000 Menschen erkrankten. Politische Instabilität und Misskoordination verunmöglichen, die Probleme an der Wurzel anzupacken und ein ökologisches und menschenwürdiges Sanitätssystem zu entwickeln. Am meisten Leid an dieser prekären Situation tragen die Armen, dazu können sich die meisten Bewohner von Port-au-Prince zählen.
Ganz besonders betroffen sind allerdings die Anwohner der Müllhalde Truitier, im nordwestlichen Armenviertel, Cité Soleil. Dadurch, dass die 3-Millionen-Küstenstadt an einer Schiefebene gebaut ist, enden die meisten Abfälle schließlich in der tiefer gelegenen Cité Soleil, auch wenn sie nicht mit der Müllabfuhr dorthin transportiert werden. Bei tropischen Gewittern reißen die Fluten alles die Straßen runter, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Mischung von flüssigen und festen Abfällen, die dann in den Slums von Cité Soleil endet, löst übelste Gerüche und somit harscheste Lebensbedingungen für die Bewohner aus. Da helfen auch die irrsinnigen Mengen von Chlor nicht, die bislang die einzige Reaktion der humanitären Nothilfe auf die aktuelle Problematik war. Ein Grund also für Paula und die haitianische EM-Vertretung, ihr Wirkungsfeld auszubauen und in Cité Soleil aktiv zu werden. Dank finanzieller Unterstützung von Seiten der EM-Vereine in der Schweiz und in Deutschland, technischer Unterstützung der Universität EARTH (Bericht über die Universität im EMJournal 12/Mai 2005) und der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Mains Unies und dem Haitianischen Umweltministerium, die gemeinsam Hand anlegten, konnte Ende Oktober ein Pilotprojekt in Cité Soleil gestartet werden. Drei Problemregionen wurden regelmäßig mit EMa besprüht: Die Mülldeponie Truitier, in der sämtliche in der Hauptstadt zusammengesammelten Fäkalien entleert werden, die kleinere Müllhalde Titanyen und schließlich der Slum vom Wharf Jérémie.
Einen Tümpel wie der fäkalienverseuchte See der Müllhalde Truitier mit EM zu behandeln, hat bisher noch niemand gemacht. Das Experiment musste also auch wissenschaftlich ausgewertet werden. Um die schlackige Brühe in Truitier nicht nur oberflächlich anzugehen, wurden 900 Dangos im verseuchten See versenkt, so dass die Mikroorganismen das abgelagerte Material auf dem Grund langsam abbauen können. Nebst dem Versenken der Dangos wurde regelmäßig EMa rund um den See über die Abfallberge gesprüht. Dasselbe wurde in Titanyen, einer kleineren Müllhalde, und im Slum von Wharf Jérémie zwei Monate lang gemacht. Schließlich wurden die drei Orte ausgewertet, die Anwohner und die vor Ort Arbeitenden befragt und Wasserproben ins Labor gebracht. Noch warten wir auf die Laborergebnisse, um diese zusammen mit den Spezialisten der Universität EARTH auszuwerten. Die ersten qualitativen Resultate sind allerdings äußerst positiv. Die befragten Personen stellten einen deutlichen Rückgang der üblen Gerüche fest. In Titanyen beispielsweise konnte ich selber erleben, wie selbst mitten im Müllberg rein gar keine üblen Gerüche mehr festzustellen waren. Man sah Libellen und Schmetterlinge und die auf dem Müll arbeitenden Personen meinten, die Arbeitsbedingungen hätten sich stark verbessert, seit die Gerüche verschwunden waren. Ich hatte bereits verschiedene Mülldeponien in Costa Rica besucht, so hat es mich umso mehr beeindruckt, plötzlich mitten in einer (fast) völlig geruchsfreien Müllhalde zu stehen. Auch im Wharf Jérémie hatten sich die Lebensbedingungen gebessert. Dieser direkt am Meer liegende Slum ist ein Anlegeplatz für Boote, doch seit sich die Abfallberge ansammeln und der Gestank unausstehlich geworden ist, versuchen die Passagiere diesen Hafen zu umgehen.
Am eindrücklichsten aber schien die Wirkung der Dangos im See von Trutier. Die Mikroorganismen hatten die Sedimente gelockert, so dass sich die ganze Wasseroberfläche mit Schlamm und Abfällen bedeckte. Man konnte unzählige platzende Luftbläschen sehen und hören. Die Dangos hatten definitiv Leben ins verschmutzte Wasser gebracht und angefangen, die Fäkalmaterie vom Grund an zu zersetzen; dadurch wird es für Krankheitserreger wie Cholera-Bakterien unattraktiv.
Auch die kommunalen Organisationen und Gruppierungen haben wir zusammengebracht und sie über die Wirkung der effektiven Mikroorganismen informiert. Dabei sind wir auf viel Unterstützung gestoßen; Haitianer ziehen die natürlichen, ökologischen Lösungen den unnatürlichen vor. In dem 400.000 Personen zählenden Armenviertel der haitianischen Hauptstadt sollen nun die 350 Schulen mit EM beliefert werden, die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat bereits 1.000 Liter EMa bestellt, um es in Camps zur Sanierung und Geruchsbekämpfung einzusetzen. Für mich als Landwirtschaftler ist die Erfahrung mit EM zur Behandlung von urbanen Sanitätssystemen und menschlichen Fäkalien neu. Dass die Wirkung der Mikroorganismen unter diesen extremen hygienischen Bedingungen so effizient und sichtbar sein wird, konnte ich mir nie vorstellen, hätte ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen. Nachdem die Resultate positiv ausgefallen sind, ist eine reguläre Weiterbehandlung in Cité Soleil vielversprechend.